BALD STALLMEISTER IN BERN?

© Schweizer Illustrierte; 12.12.2011
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Höchster Schweizer ist er ja schon. Nun soll Nationalratspräsident und Bauer Hansjörg Walter gar Bundesrat werden. Der Knall-Fall-Kandidat über seine Führungsqualitäten bei Mensch und Vieh und die Geschichte seines Schnauzes.

Er kennt das ja mittlerweile. Weiss, wie so was läuft. Schon vor drei Jahren sollte er Bundesrat werden – auch damals im allerletzten Moment. Immerhin hat Hansjörg Walter diesmal unverschämt viel Vorbereitungszeit, für seine Massstäbe geradezu verschwenderische fünfeinhalb Tage liegen zwischen Knall-Fall-Nomination und Wahltag. Beim letzten Mal, 2008 (als unfreiwilliger Sprengkandidat gegen Ueli Maurer), waren es läppische drei Stunden. Damals riefen ihn morgens um sechs in Bern Politkollegen an und warnten: «Hansjörg, du wirst heute heiss gehandelt, ist dir das bewusst?» Worauf Walter seine Frau Madeleine daheim im thurgauischen Wängi informierte, sie müsse vielleicht noch nach Bern kommen und sich mit ihm fotografieren lassen. «Zum Glück», erinnert sich Madeleine Walter, «war ich zufällig am Tag vorher beim Coiffeur.» Mit einer «schepsen » Frisur bei der Vereidigung ihres Mannes zum Bundesrat – «das hätte doch keine Gattung gemacht».

Walter wurde damals nicht gewählt, es fehlte ihm eine einzige Stimme. Enttäuscht, sagt er, sei er jeweils nur, wenn er ein von ihm gestecktes Ziel nicht erreiche. «Und Bundesrat zu werden, war 2008 nicht mein Ziel.» Diesmal schon.

Der Greuthof liegt fünf Traktorminuten ausserhalb der 4000-Seelen-Gemeinde Wängi. Familie Walters Bauernbetrieb umfasst 32 Hektaren Land, 57 Obstbäume, Kühe, Kälber, Katzen – und Bergamaskerhündin Inka. Neonschrille Schilder warnen vor dem Tier («Hier wache ich! Begehen auf eigene Gefahr!»), doch Inka – angerannt kommt sie zwar wie eine Hyäne – hat das devote Gemüt und den chruseligen Haarschnitt eines Schäfchens. An diesem klammen, nebelnassen Tag Ende November stiefelt Bauer Walter voraus, zäukelt und leitet seine 37 Kühe von der Weide zum Stall. Das Braunvieh folgt brav – Herdentrieb. In Bundesbern spräche man wohl von Fraktionszwang.

Zu dem Zeitpunkt (das SVP-Kandidatendrama wird erst in zwei Wochen beginnen) schwärmt er noch von seiner Funktion als Nationalratspräsident und höchstem Schweizer. Seine zwei Aufmagaben, sinniert Walter, seien sich gar nicht mal so unähnlich. Bauer und Chef der Grossen Kammer. Beides verlange Führungsqualitäten, er müsse organisieren, leiten, ordnen. Auf dem Greuthof und in Bern. Im Stall und im Bundeshaus. Da Scholle, Milch und Mist, dort Interpellation, Postulat und Motion (und manchmal ebenfalls Mist). Walter sagt, er gehe gern voraus, gebe die Richtung vor, «das Führen liegt mir». Zumindest seine Kühe sehen das genauso.

Hansjörg Walter ist 60 Jahre alt, Vater dreier erwachsener Kinder, Meisterlandwirt, Bauernpräsident, glühender Thurgauer, seit 1999 SVP-Nationalrat, Fastbundesrat und vielleicht bald Dochbundesrat. Als Nationalratspräsident hätte er die Bundesratwahlen eigentlich leiten sollen, als Chef im Saal, Leiter des Ratsbetriebs, Mann mit der Glocke, der schellt und schilt, wenns zu wild wird. Nun wirds für ihn selber wohl wilder als eine bockige Kuh.

«Diesmal ist es besonders kompliziert », sagte Walter, noch nichts von seinem Bundesratsabenteuer ahnend. Darum hat er ja auch geübt. Bundesjuristen verfassten für ihn Drehbücher, in denen jegliche artigen und abartigen Eventualitäten eines Wahltags durchgespielt wurden, sodass sich Walter überlegen konnte, wann er wie reagieren und regieren würde. Und wenn der Nationalratspräsident selber Bundesratskandidat ist? Auch dieser Fall wurde durchsimuliert, sagte Walter noch Ende November, lachte und meinte, das werde aber bestimmt nicht passieren: «Ich stehe ja definitiv nicht als Bundesratskandidat zur Verfügung.» Nun kommts definitiv anders.

Eine Unterkunft in Bern hätte Walter ja bereits. Während der Sessionen erwacht er – jahrzehntelange Gewohnheit eines Milchbauern – um 5.15 Uhr. Dann liegt er da, denkt an daheim und an die Arbeit auf dem Hof. Manchmal frage er sich schon, was er im Parlament den ganzen Tag lang eigentlich wirklich leiste: «Vielleicht habe ich ein Dutzend Mal den Abstimmungsknopf gedrückt, dabei gäbe es daheim einen kaputten Pflug zu flicken.» Zwei Angestellte schauen auf dem Greuthof nach dem Rechten – und Walters Frau Madeleine, 59. Sie ist der wahre Ver-Walter, managt das Sekretariat ihres Mannes, wacht über seine Agenda. Im Büro, gleich neben der Stube, sitzt sich das Ehepaar gegenüber. Ein bauchiges Ofenrohr rankt sich durch den Raum, und Walters PC-Hintergrund zeigt ein Foto der letzten Ägyptenferien. Hier prallen Agrarund Politwelt aufeinander: Die Bundesordner mit den Aufschriften «Europarat» und «Internationales» stehen gleich neben «Dreschen», «Obst» und «Tierverkehrsdatenbank ». Und die drei Ablagefächli sind geordnet nach: SVP Schweiz, SVP Thurgau, Käserei. «Ohne Madeleine», sagt Walter, «ginge hier gar nichts.» Er sei halt oft unterwegs, viel fort, meistens in Bern. In letzter Zeit sowieso. Man merkts.

Er: «Das Büro haben wir erst kürzlich frisch gestrichen.»
Sie: «Kürzlich? Hansjörg, das ist doch eine Ewigkeit her!»

Er: «Und ausgemistet haben wir hier, einen ganzen Kübel mit Zeugs.»
Sie: «Hansjörg, es war ein ganzer Container voll.»

Vor 31 Jahren, auf einer USA-Reise, machte Hansjörg seiner Madeleine einen Heiratsantrag. Sie sagte Ja, unter der Bedingung, dass er sich einen Schnauz wachsen lasse, «ich wünschte mir schon immer einen Mann mit Schnauz».
Kommt Walter nach Hause, angelt er sich aus dem Kühlschrank Süssmost und Appenzeller Käse (gefertigt aus der Milch seiner Kühe), «es gibt nichts Besseres ». Das hilft sogar bei schlechter Laune. Da hat sein Most-Kanton letzthin doch tatsächlich einen Brief bekommen, aus den USA, von der Firma Apple. Der Computerriese klagt wegen des Apfel-Logos auf dem «Thurgau»-Banner. «So ne Blödsinn!» Walter wettert, der Schnauz zittert, erst eine zusätzliche Ration Käse und Most lindert den Ärger.

Hansjörg Walter hat den Greuthof vor 34 Jahren von seinem Vater übernommen, der, 92 Jahre alt, noch immer hier lebt. Und sicher stolz ist auf seinen Sohn? Momol, wohl schon, meint Hansjörg Walter, sein Vater zeige seine Freude halt nicht so, sondern sage eher mal: «Was habt Ihr denn da oben in Bern wieder für Zustände?»
Die «Zustände» werden sich für Hansjörg Walter definitiv am 14. Dezember klären. So oder so. Egal, wie es kommt. Entweder wird er Bundesrat, oder er bleibt «nur» Nationalratspräsident, der es als bauernschlauer Meisterlandwirt bestens versteht, mit Befehlen und Zäukeltricks Herde und Leittiere in Bern im Zaum zu halten.

Walter würde gerne Bundesrat werden. Das Amt, sagt er nach seiner Nomination letzte Woche, das Amt habe ihn immer gereizt. Und der ehemalige SP-Präsident Helmut Hubacher erinnert sich, wie er vor vielen Jahren mit Walter spazieren ging und dieser ihm anvertraute, dass er sich schon als Kind gewünscht habe, Bundesrat zu werden.

Eigentlich freute sich Walter auf ein ruhiges Jahr 2013. Nach seinem Präsidentenjahr wollte er auch sein Amt beim Bauernverband abgeben, dann hätte er wieder mehr Zeit gehabt, daheim zu bauern, zu ackern, zu melken und – «dabei entspanne ich mich am besten» – Traktor zu fahren. Vielleicht kommt nun alles anders. Und Walter muss sich einen magistratskonformen Traktor nach Bundesbern bestellen und seinen Bundeshausweibel anweisen, stets Most und Appenzeller Käse bereitzuhalten. Und daheim im Büro in Wängi wird Madeleine Walter einen neuen Ordner ins Regal stellen. Zwischen «Europarat», «Dreschen » und «Obst» hätte es nämlich noch Platz – für einen «Bundesrat».

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